Der WeG zu
SOLONG
Am 22.03.2020 trat in Deutschland der erste Lockdown in Kraft und tatsächlich kam daraufhin die Welt in Deutschland für kurze Zeit zum Stillstand. Keiner wusste in diesem Moment was dieser Zustand einer „umfassenden Beschränkung sozialer Kontakte“ für einen selbst und uns alle bedeutet.
Auch ich saß für ein paar Tage fern von allen Akten Zuhause fest – ohne Urlaub zu haben oder krank zu sein ein merkwürdiges und unbekanntes Gefühl. Mir war sofort klar, dass ich eine sinnvolle Beschäftigung finden muss, um da einigermaßen unbeschadet durchzukommen. Und so fasste ich den Beschluss, ein Soloalbum in meinem Keller aufzunehmen.
Anläufe in diese Richtung hin hatte es die Jahre zuvor immer mal wieder gegeben, doch zu groß waren mir bis dahin die zu überwindenden Schwierigkeiten erschienen.
Keine einzige Songidee war bis dato zu einem Ganzen ausgearbeitet worden. Mehr als ein paar Skizzen – das meiste nur im Gedächtnis – waren nicht vorhanden. Sofern tatsächlich schon etwas an Aufnahmen vorhanden war (meistens nicht mehr als ein paar Takte), überzeugte mich das Gehörte nicht. Von den komplett fehlenden Texten ganz zu schweigen – die letzten Versuche in diese Richtung ein reines Debakel.
Die Angst vor der Corona-Leere muss also ziemlich groß gewesen sein. Das Vertrauen in das Gelingen des Projekts allerdings auch nicht allzu hoch, denn etwas mehr als Hundert Euro für einen noch benötigten Bass wollte ich dann doch nicht investieren (der seine Sache wunderbar gemacht hat).
Der Start in das Projekt verlief erwartungsgemäß alles andere als reibungslos: eine schöne erste Songidee wollte sich einfach nicht so umsetzen lassen wie ich sie in meinem Ohr hörte. Doch anstatt diesmal aufzugeben, beugte ich mich meinem Schicksal und ließ der Idee ihren eigenen Lauf. Mit dem Ergebnis, dass aus „meinem“ souligen Stück etwas ganz anderes wurde. Mir wurde klar, Songideen sind wie Kinder, man muss sie machen lassen. Auch entdeckte ich das wichtigste Utensil des Projekts: Den Mülleimer.
Der erste Text und die ersten Gesangsaufnahmen: Naja. Aber immerhin, ein erster Song war im Kasten und das Ergebnis nicht schlecht genug zum Aufhören. Auch wusste ich um ein paar gute Ideen, die ich noch in petto hatte und die nun auch danach riefen, an den Start gehen zu dürfen.
Der zweite und dritte Song lief dann schon besser. Es entwickelte sich eine Arbeitsroutine, die wohl jedes größere Vorhaben benötigt. Die neue Ruhe auf den Straßen war dann sogar inspirierend, viele Textstellen fielen mir auf dem morgendlichen Weg zum Bäcker an Tagen ein, die sich wie ein permanenter Sonntag anfühlten.
Dass ich mitten in etwas Größerem steckte, bemerkte ich eines schönen Samstagabends an der leicht panischen Reaktion einer meiner Töchter auf meinen Ruf nach einem Dudelsack. Sie hatte Sorge um das finanzielle Wohlergehen unserer Familie, nachdem mittlerweile ein zweiter Bass (mehr wegen meiner kleinen Hände) geliefert worden war. Ich konnte sie beruhigen mit Verweis darauf, dass ich mich für ein vergleichsweise kostengünstiges Softwareinstrument entschieden hätte.
Eine wichtige Zäsur für mich war sicherlich der Text zu Black, der im Juni 2020 als unmittelbare Reaktion auf die schockierenden Bilder des Todeskampfs von George Floyd entstanden war und weitere Texte des Albums beeinflusste. Nebenbei gelang mir damit auch das einzige bereits Jahre zuvor komplett instrumental aufgenommene und in seiner Struktur vorhandene Songfragment zu komplettieren.
Spätestens damit wurde mir klar, dass Soundeffekte – wie ich sie schon immer auf Alben wie z.B. „The Wall“ geliebt habe – Teil des Ganzen werden sollen. Auch entwickelte sich ab da die Vorstellung eines Albums im LP-Format mit zwei (in sich selbständigen) Seiten von maximal etwas mehr als 20 Minuten.
In die Sommerpause und einen wunderschönen Urlaub in Frankreich konnte ich mich mit dem Gesang der Koranschüler verabschieden, die die Bridge von I Can’t Hide my Tears veredeln. Das war genau das wonach ich gesucht hatte und ich fühlte mich mehr und mehr von etwas Großem über die Schulter geschaut.
Auf einem Klavier in einem Ferienhaus am Lot wurde dann auch das weiterentwickelt, was später zu Psalm 139 geworden ist, wobei es die einzige musikalische Idee war, die während des Projekts neu entstanden ist. Auf den Gedanken einer Vertonung des Psalms bin ich dann erst nach dem Urlaub gekommen, nachdem alle gereimten und metrischen Textanläufe nur banale Melodien hervorgebracht hatten.
Danach war nur noch ein Lied aufzunehmen. Der Vorrat schien allmählich erschöpft, doch eine Idee – fast wäre sie durch das Raster der Erinnerung gefallen – hatte ich dann doch noch. Nachdem ich die Musik hierzu im Kasten hatte wusste ich, jetzt ist genug.
Die folgenden Wochen bastelte ich dann noch an manch fehlendem Text und widmete mich verstärkt dem Gesang, wobei ich hier eine fast Thomas Mannsche Arbeitsdisziplin entwickelte: Jeden Samstag von 9:30 – 12:30 Uhr, da nur in diesem Zeitfenster die Familie Ebersbach die nötige Ruhe gewährt. Mit mir selbst im Chor zu singen war dabei besonders reizvoll.
Parallel hierzu verfeinerte ich meine Fähigkeiten als Mann hinter den Reglern. Es festigte sich eine Palette von brauchbaren Werkzeugen, so wie ich mich immer auf meine Hauptgitarren – schlicht genannt „die Gelbe“ und „die Rote“ – verlassen kann.
Irgendwann Anfang Februar 2021 war es dann endlich geschafft und ein zu Beginn unglaublich großes weißes Blatt Papier hatte sich gefüllt. Für mich immer noch etwas unglaublich, denn ist man bei einem solchen Projekt (fast) alles in einer Person – Komponist, Texter, Arrangeur, Produzent, Aufnahmeingenieur und Mischer – müssen am Ende tausende Teile von einer Hand zu einem stimmigen Ganzen zusammengefügt werden. Die Gefahr des Verzettelns bzw. sogar des Scheiterns ist immens.
Die ersten Reaktionen waren jedoch erfreulicherweise sehr wohlwollend und haben mir gezeigt, dass die Songs nun ein Eigenleben haben werden. Solong meine 10!